Befähigungsansatz und Gerechtigkeit in der Wissenschaftsorganisation
Wie die Universität in ihrer Diversitätsstrategie kombiniert die GGG die intersektionale Perspektive mit dem Befähigungsansatz. Beide Ansätze gehen davon aus, dass das Zusammenwirken unterschiedlicher Diversitätsdimensionen bzw. Ausgangspositionen eine entscheidende Rolle für die Erreichung von persönlichen und/oder gesellschaftlichen Zielen spielt. Diese Betrachtungsweisen bleiben nicht auf der rein deskriptiven Ebene, vielmehr skizzieren sie Faktoren und Möglichkeiten zur Realisierung einer gerechteren Gesellschaft und damit eines „guten Lebens“. Bei beiden Ansätzen geht es im nächsten Schritt darum, positive Faktoren aktiv zu fördern und die Wirkung negativer Faktoren abzuschwächen bzw. zu beseitigen (Bührmann / Schmidt 2014: 39).Befähigungsansatz: Entstehung und Ziele
Der Befähigungsansatz („Capability Approach“) ist ein theoretisches Konzept, das u. a. von der Philosophin Martha Nussbaum und dem Ökonomie-Nobelpreisträger Amartya Sen für die Vereinten Nationen entwickelt wurde, um individuelle und gesellschaftliche Wohlfahrt zu messen. Als multidimensionaler Ansatz ist er nicht auf ökonomische Aspekte beschränkt, sondern geht davon aus, dass erst im Zusammenspiel von individuellem Vermögen und institutionellen Rahmenbedingungen ein „gutes Leben“ im Sinne eines humanistischen, interkulturellen und aristotelischen Verständnisses verwirklicht werden kann (Sen 2010, Nussbaum 1998).
Bezug zu Hochschule und Bildungssystem
So untersucht der Ansatz bspw. in Bezug auf den Hochschul- und Wissenschaftskontext, inwieweit die konkrete Ausgestaltung eines Bildungssystems ein selbstbestimmtes Leben und die bestmögliche Verwirklichung für eine Person fördert oder behindert (Sen 2010: 47). Diese Verwirklichungschancen beinhalten die Möglichkeiten und umfassenden Fähigkeiten (Capabilities) von Menschen, ein Leben führen zu können, für das sie sich mit guten Gründen entscheiden konnten und das die Grundlagen der Selbst-achtung nicht in Frage stellt (Sen 2000: 29). Fähigkeiten basieren auf den jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen und werden durch den Umgang mit sowie den Zugang zu diesen bestimmt (Lessmann 2007). Einerseits können mithilfe des Befähigungsansatzes also soziale Ungleichheit(en) untersucht werden. Anderseits kann er dabei helfen, Zielsetzungen für gesellschaftliche Veränderungen hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu erarbeiten, konkrete Forderungen an die Gesellschaft zu formulieren und deren Erreichung zu kontrollieren.
Befähigungsansatz und Promotion
Für die Begleitung von Promovierenden bietet die Orientierung am Befähigungsansatz einen geeigneten Ausgangspunkt, um (Promotions-) Bedingungen in einer Weise zu gestalten, die die Unterschiedlichkeit der Promo¬vierenden anerkennt und allen Promovierenden eine in ihrem jeweiligen Verständnis uneingeschränkte Entfaltung ihrer Fähigkeiten ermöglicht. Dies beinhaltet sowohl die Gestaltung von Rahmen-bedingungen als auch die individuelle Förderung der Promovierenden. Die wenigsten Promovierenden werden Wissen¬schaftler*innen, andere nutzen die während der Promotion erlernte Problemlösungskompetenz und den Doktortitel für einen beruflichen Aufstieg, während weitere sich in der Promotion zunächst weiterqualifizieren, aber dann ohne Abschluss andere Wege wählen. Mit allen möglichen Wegen vor, während und nach der Promotion sind Qualifizierungsbedarfe und Entscheidungen verbunden, die so weit wie möglich ohne sozialen Ausschluss auf Basis von Fähigkeiten und Entwicklungspotenzialen, Neigungen und Chancen gestaltet werden sollten. Die Orientierung am Befähigungsansatz und die Berücksichtigung von Diversitäts- oder sozialen Faktoren bedeutet nicht, dass Leistungen oder Engagement an Bedeutung verlieren. Der Befähigungsansatz strebt vielmehr danach, allen Promovierenden die notwendige Unterstützung zu geben, um sich entsprechend ihrer Möglichkeiten bestmöglich entfalten können, um einen faireren Wettbewerb um die besten Leistungen zu erreichen.
Gerechtigkeitsansatz vs. Gleichheitsansatz
Der Gerechtigkeitsansatz (Equity-Ansatz) dient dazu, Bevorzugung und Benachteiligung gleichermaßen zu reduzieren. Er geht davon aus, dass Gerechtigkeit erreicht wird, indem Personen ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend unterschiedliche Begleitung erhalten, um sich voll entfalten zu können. Idealerweise werden strukturelle Barrieren langfristig abgebaut, so dass eine zusätzliche Förderung nicht notwendig ist. Dieser Zusammenhang ist in dieser Abbildung exemplarisch für körperliche Voraussetzungen im Zusammenhang mit Fahrradfahren vergleichend mit dem Gleichheitsansatz (Equality-Ansatz) dargestellt.