Conference: Biodiversity and Society
- Thema:
Gesellschaftliche Dimensionen von Schutz und Nutzung biologischer Vielfalt
- Rückschau auf die Tagung zu gesellschaftswissenschaftlichen Aspekten der biologischen Vielfalt
Von ABS bis Zahlungsbereitschaft
Vom 14.-16. November 2012 fand eine internationale Tagung des Promotionsstudiengangs „Biodiversität und Gesellschaft“ der Universität Göttingen statt. Die Tagung gab sowohl Nachwuchsforschern als auch gestandenen Wissenschaftler/innen Gelegenheit, neuste Entwicklungen im Bereich der gesellschaftswissenschaftlichen Dimensionen von Schutz und Nutzung der biologischen Vielfalt zu präsentieren und zu diskutieren. Nach Angaben der Veranstalter lagen 120 Anmeldungen aus mehreren europäischen Ländern, aus Japan, Gabun und der Elfenbeinküste vor. „Der internationale Zuspruch aber auch die Qualität der Beiträge zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind,“ meint Prof. Rainer Marggraf, der Sprecher des Promotionsstudiengangs. „Wenn wir die biologische Vielfalt in Deutschland aber auch weltweit schützen wollen, benötigen wir nicht nur naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Wir müssen auch die individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen erforschen, die Schutz und nachhaltige Nutzung erst möglich machen“.
Die Biologin und Publizistin Frau Christiane von Weizsäcker hielt den öffentlichen Eröffnungsvortrag in der Aula der Alten Pädagogischen Hochschule am Waldweg. „In den internationalen Verhandlungen zum Thema Biodiversität herrscht mangelndes Vertrauen der Länder des Südens. So sind die internationalen Regelungen zum Zugriff auf biologische Ressourcen und zum fairen Ausgleich der Vorteile ihrer Nutzung etwa durch neue Pflanzenzüchtungen oder neue Medikamente („Access and Benefit Sharing“, ABS) einseitig auf die wirtschaftlichen Interessen des Nordens ausgerichtet.“ Prof. Ulrich Brand aus Wien erklärte, diese Situation aus Perspektive der Politischen Ökologie: Die Übereinkommen könnten als Ausdruck der weiter bestehenden politischen, aber auch wissenschaftlichen Machtposition der industrialisierten Länder des Nordens aufgefasst werden. Die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten aus naturschutzethischen Argumenten heraus Politikberatung zu betreiben, beschrieb Herr Prof. Thomas Potthast, Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen. Die vielgestaltigen Aufladungen und Bedeutungszuschreibungen des Begriffs der biologischen Vielfalt selbst seinen ein Problem, stimmten mehrere Redner überein: Der Insektenkundler und Soziobiologe E.O Wilson habe unter dem Banner der „Biodiversität“ in den 1980er Jahren eine bestimmte Form des Schutzes, aber auch der wirtschaftlichen Nutzung der biologischen Ressourcen der Erde etablieren wollen. Bezeichnenderweise seien die USA bis heute nicht Mitglied des Abkommens über die biologische Vielfalt, hob Frau von Weizsäcker hervor „Die US-Industrie profitiert aber von den Vorteilen bestimmter Formulierungen, ohne den Restriktionen des Abkommens zu unterliegen“.
Frau Dr. Elisa Morgera, Universität Edinburgh, wies in ihrem Vortrag auf juristische Fallstricke im Bereich des internationalen Umweltrechts hin. Insbesondere beschäftigte sie sich mit der Frage, wie in den ABS-Abkommen die wirtschaftliche Nutzung genetischer Ressourcen auf die Menschenrechte der vor Ort Betroffenen bezogen wird. Den Blick zurück auf die Situation in Deutschland richtete Herr Prof. Ulrich Hampicke, der viele Jahren den ersten Lehrstuhl für Landschaftsökonomie in Deutschland an der Universität Greifswald inne hatte. „Richtig eingesetzt, ließe sich mit 2 Mrd. Euro der dramatische Artenschwund in der Kulturlandschaft deutschlandweit stoppen“, meint Hampicke. Die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung dafür sei vorhanden, wie mehrere Studien zeigen. Weit größere Beträge würden jedoch – beispielsweise im Bereich der EU-Agrarpolitik für wenig kosteneffiziente Maßnahmen aufgewandt.
An jeden der Hauptvorträge schlossen sich zwei vertiefende inhaltliche Sitzungen mit je vier deutsch- und vier englischsprachigen Beiträgen an. Sowohl die Hauptvorträge wie die Einzelpräsentationen luden die Teilnehmer zu regen Diskussionen ein. “Ich freue mich sehr, dass wir nicht nur hochwertige Vorträge, sondern auch teilweise kontroverse Diskussionen hatten,“ sagt Dr. Jan Barkmann, wissenschaftlicher Koordinator des Studiengangs. Eine solche Tagung lebe von der Breite und Unterschiedlichkeit der Zugänge und Methoden. „Auf der einen Seite muss ‚die Machfrage’ in Bezug auf internationale Verhandlungen und Institutionen gestellt und untersucht werden. Andererseits brauchen wir detaillierte Untersuchungen zur Wirksamkeit und Vorteilhaftigkeit der verschiedenen ökonomischen wie nicht-ökonomischen Instrumente zum Schutz von Arten und Ökosystemen“.
Die Planung und Organisation der gesamten Veranstaltung lag in den Händen der 34 Promovierenden des Promotionsstudiengangs Biodiversität und Gesellschaft. "Es war anstrengend, aber es hat sich gelohnt", meinen die beiden Sprecher/innen der Promovierenden, Anja Eickermann und Till Dörschner. Beide hielten neben der Tagungsorganisation noch einen eignen Vortrag. Frau Eickermann forscht zu den unterschiedlichen Anforderungen der Klimarahmenkonvention und des Abkommens über die Biologische Vielfalt an den Schutz von Wäldern; Herr Dörschner über die Neigung von Landwirten, freiwillige Naturschutzverträge abzuschließen, wenn betriebliche Unsicherheiten bestehen. Großes Lob zollte Dr. Bettina Ross den Promovierenden und ihrem Engagement. „Wir haben die Organisation der Tagung als ein innovatives Modul in den Ausbildungsteil des Studiengangs einbezogen. Gleich im Dezember steht dann der nächste Schritt an: Die Produktion des Tagungsbandes, die ebenfalls in den Händen der Promovierenden liegt.“ - Das aktuelle Tagungsprogramm ist online abrufbar.
- Rahmen und Zielsetzung:
Biodiversität ist ein zentraler Schwerpunkt von Forschung und Lehre der Georg-August-Universität Göttingen. In dem Promotionsstudiengang „Biodiversität und Gesellschaft“ forschen NachwuchswissenschaftlerInnen seit April 2010 an natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten zu aktuellen und interdisziplinären Themen der Biodiversität.
Mit dieser Tagung bieten die Promovierenden ein Forum zur Diskussion von gesellschaftlichen Problematiken und Lösungsvorschlägen im Spannungsfeld zwischen Schutz und Nutzung biologischer Vielfalt. Themen der Biodiversitäts-forschung werden in diesem Rahmen nicht nur von den Promovierenden selbst vorgestellt. Zudem werden Beiträge renommierter nationaler und internationaler WissenschaftlerInnen das Spektrum der Tagung erweitern und bereichern. Durch fachübergreifendes Reflektieren der wissenschaftlichen Erkenntnisse können sich alle Teilnehmenden interdisziplinär in der Biodiversitätsforschung weiterentwickeln und vielfältig vernetzen.
Ziel der Tagung ist es, dem aktuellen Diskurs neue Impulse zu geben und damit die gesellschaftliche Relevanz des Forschungsfeldes „Biodiversität“ herauszustellen.