Systematik
In der Systematik gehört die Edelkastanie Castanea sativa zu der Familie der Fagaceae (Buchengewächse) (Schütt et al. 2014). Die Abbildung 2 veranschaulicht die systematische Stellung der Edelkastanie in der Familie Fagaceae .
Abbildung 2: Systematische Stellung von Castanea sativa in der Familie Fagaceae
(Abbildung: G. Stettner nach Bartels 1993; Schütt et al. 2014)
Die Familie Fagaceae setzt sich aus den drei Unterfamilien Fagoideae (Buchenähnliche), Quercoideae (Eichenähnliche) und Castaneoideae (Edelkastanienähnliche) zusammen. Ein gemeinsames Merkmal der Bäume der Familie Fagaceae ist die Ausbildung eines verholzenden Fruchtbechers (Cupula) (Bartels 1993). In der Unterfamilie Castaneoideae gehört die Edelkastanie zu der Gattung Castanea. Es werden etwa 12 untereinander sehr ähnliche Baum- oder Straucharten zu der Gattung Castanea gezählt (Schütt et al. 2014). Nach Breisch (1995) können die Arten der Gattung Castanea nach der Anzahl der Früchte in der Cupula unterschieden werden. Folgende Castanea-Arten bilden 3 Früchte aus (Sektion Eucastanon): C. dentata, C. sativa, C. crenata, C. mollissima und C. seguinii. Eine Frucht weisen die nachstehenden Castanea-Arten auf (Sektion Balanocastanon): C. henryi, C. ozarkensis, C. ashei, C. floridana, C. pumila, C. alnifolia und C. paucispina (Breisch 1995).
Die Edelkastanie ist mit der im deutschen Sprachraum auch Kastanie genannten Rosskastanie nicht verwandt. Diese Baumart (Aesculus hippocastanum) zählt zu der Familie der Rosskastaniengewächse (Hippocastanaceae). Während die Rosskastanie erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts in Mitteleuropa eingeführt wurde, kommt die Edelkastanie hier schon seit mindestens 2000 Jahren vor (Maurer 2003).
Habitus
Die sommergrüne Baumart Edelkastanie erreicht meist eine Höhe von 20 bis 25 m (Bartels 1993; Grosser 1998). Sie kann im geschlossenen Hochwald aber auch bis zu 35 m hoch werden. Castanea sativa kann einen Durchmesser von 0,6 bis 1,2 (1,5) m erreichen, bei sehr alten Bäumen werden sogar Durchmesser von mehreren Metern gemessen. Dabei weisen ältere Bäume oft einen Drehwuchs auf (Grosser 1998).
Wächst die Edelkastanie freistehend, bleibt der Baum kurzschäftig und bildet eine ausladende Krone (Stinglwagner et al. 2005). In Abbildung 3 ist eine freistehende Edelkastanie und im Vergleich dazu in Abbildung 4 die Baumart im geschlossenen Waldbestand zu sehen.
Abbildung 3: Habitus einer freistehenden Edelkastanie (Frühsommer)
(Foto: G. Stettner)
Abbildung 4: Habitus einer Edelkastanie in einem Waldbestand (Winter)
(Foto: G. Stettner)
Im geschlossenen Wald bildet Castanea sativa eine schmale Krone und einen astfreien Schaft mit einer Länge von 6 bis 12 m (Grosser 1998). Insgesamt besitzt die Baumart im Habitus eine große Ähnlichkeit mit der Eiche (Grosser 1998). Edelkastanien können ein Alter von 500 bis 600 Jahren erreichen (Bottacci 1998). In dem Ort Dannenfels (Rheinland-Pfalz) steht ein Edelkastanienbaum, der als die älteste Esskastanie Deutschlands gilt. Der Baum hat einen Umfang von 9 m und wird auf ein Alter von 650 Jahren geschätzt (Bouffier 2005).
Triebe und Knospen
Im Winter sind die kräftigen Triebe und die Knospen der Edelkastanie gut zu erkennen. Auf der Schattenseite sind die Triebe olivgrün und auf der Lichtseite eher rot- bis graubraun gefärbt (Stinglwagner et al. 2005). Abbildung 5 zeigt die Triebe der Edelkastanie mit Winterknospen.
Abbildung 5: Triebe der Edelkastanie mit Winterknospen (Foto: G. Stettner)
Die Triebe sind an der Spitze kurz und dicht behaart, jedoch werden sie später kahl (Stinglwagner et al. 2005). Auffällig sind an den jungen Zweigen die vielen runden bis elliptischen weißlich gefärbten Lenticellen (Abbildung 5) (Bottacci 1998). Nach Schütt et al. (2014) sind Lenticellen Korkwarzen, die einen Gasaustauch für die Triebe ermöglichen. Auf der Rinde von Zweigen der Edelkastanie sind außerdem leicht erhabene dreieckige Blattnarben zu sehen (Bottacci 1998). Die 3-6 mm langen Knospen sind eiförmig, stumpf und sitzen etwas schief über den Blattnarben (Bartels 1993). Die sichtbaren Knospenschuppen sind gelbbraun bis braunrot gefärbt und weisen einen dunklen Rand auf (Stinglwagner et al. 2005).
Blätter
Die Blätter der Edelkastanie treiben Ende April bis Anfang Mai aus und sind anfangs spärlich behaart, verkahlen jedoch bald (Bottacci 1998). Am Trieb sind die Blätter wechselständig angeordnet (Stinglwagner et al. 2005). Das Aussehen der Blätter ist in Abbildung 6 zu erkennen.
Abbildung 6: Unterseite (links) und Oberseite (rechts) der Blätter von Castanea sativa (Foto: G. Stettner)
Die Blätter haben eine länglich-lanzettliche Form und sind 10-30 cm lang sowie 5-10 cm breit. Sie fühlen sich ledrig und derb an. Auf der Oberseite sind die Blätter glänzend grün und auf der Unterseite hellgrün (siehe Abbildung 6). Auf der Unterseite laufen die hervortretenden Seitennerven in je einer zähnchenartigen Spitze am Blattrand aus (Stinglwagner et al. 2005).
Blütenstände und Bestäubung
Die Blütezeit der Edelkastanie findet von Mitte Mai bis Mitte Juli statt (Stinglwagner et al. 2005). Castanea sativa bildet eingeschlechtige Einzelblüten. Die Edelkastanie ist eine einhäusige Baumart (Conedera 2007). Nach Schütt et al. (2014) kommen bei einer einhäusigen (monoezischen) Pflanzenart männliche und weibliche Blüten auf der gleichen Pflanze vor.
Bei der Edelkastanie bilden die Einzelblüten Teilblütenstände aus, die sich zu kätzchenartigen Blütenständen zusammensetzen. Diese Blütenstände sind gelb und können 20 bis 25 cm lang werden. Dabei bestehen die Blütenstände der Edelkastanie entweder aus rein männlichen oder aus männlichen und weiblichen Einzelblüten (Bottacci 1998). Die männlichen, kätzchenartigen Blütenstände sind in Abbildung 7 dargestellt.
Abbildung 7: Männliche Blütenkätzchen von Castanea sativa (Foto: G. Stettner)
Rein männliche Blütenstände entwickeln sich an der Basis von jungen Trieben (Bottacci 1998). Einen komplexeren Aufbau besitzen die zweigeschlechtigen Blütenstände, die stets an der Spitze von diesjährigen Trieben blühen. An der Basis des zweigeschlechtigen Blütenstandes entwickeln sich weibliche Teilblütenstände, die aus je 3 weiblichen Einzelblüten gebildet werden (Bottacci 1998). Abbildung 8 zeigt die weiblichen Teilblütenstände.
Abbildung 8: Weibliche Teilblütenstände von Castanea sativa (Foto: G. Stettner)
Die weiblichen Blüten sind von einer schuppigen Scheide umgeben, die später den Fruchtbecher (Cupula) ausbildet (Bottacci 1998).
Die Edelkastanie ist auf eine Fremdbestäubung angewiesen um fruchtbare Kastanien zu produzieren. Die Bestäubung erfolgt sowohl durch Insekten als auch durch den Wind (Bottacci 1998). Die Blüten der Edelkastanie riechen stark nach Trimethylamin und weisen eine ausgeprägte Nektarproduktion auf (Stinglwagner et al. 2005). Insbesondere Käfer werden von dem Trimethylamin-Geruch angelockt und tragen zur Insektenbestäubung bei (Bottacci 1998). Auch von Bienen werden die Blüten gerne aufgesucht, weshalb die Edelkastanie eine wertvolle Bienentracht darstellt (Ecker et al. 2006).
Die Insektenbestäubung wird bei der Gattung Castanea als die ursprüngliche Bestäubungsform angenommen (Anonymus 2000). Eine größere Effizienz besitzt nach Conedera (2007) jedoch die Windbestäubung, vor allem bei trockenem und windigem Wetter. Da beide Bestäubungsformen vorkommen, weist dies auf ein evolutives Übergangsstadium hin. Die Edelkastanie wandelt sich offensichtlich von einer insekten- zu einer windbestäubten Art (Conedera 2007).
Früchte: Kastanien oder Maronen
Im Herbst werden in den Monaten September bis Oktober die essbaren Früchte der Edelkastanie reif, die Kastanien oder Maronen genannt werden. Im Vergleich dazu ist die Frucht der Rosskastanie, die in Deutschland auch Kastanie genannt wird, durch Bitterstoffe für den Menschen ungenießbar (Stinglwagner et al. 2005).
Die Esskastanien werden von einem stacheligen Fruchtbecher umhüllt, der Cupula genannt wird. Eine Cupula umschließt 1 bis 3 Kastanien (Bottacci 1998). In Abbildung 9 ist eine stachelige Cupula zu sehen, die sich gerade öffnet.
Abbildung 9: Die Cupula mit den darin enthaltenen Esskastanien (Foto: G. Stettner)
Bei den Kastanien handelt sich um einsamige Nüsse (Bartels 1993). Der generelle Aufbau einer Kastanie als Samen wird in einem Querschnitt in Abbildung 10 verdeutlicht.
Abbildung 10: Querschnitt durch eine Esskastanie mit Keimblättern, Samenschale, Fruchtschale und Nabel (Abbildung: G. Stettner nach Conedera et al. 2004)
Nach Conedera et al. (2004) enthält der Samen zwei stärkereiche Keimblätter (Kotyledonen) (Abbildung 10). Die Keimblätter sind von einer hellbraunen Samenschale, der sogenannten Testa umgeben. Außen haftet am Samen eine ledrige braune oder leicht gestreifte Fruchtschale (Perikarp) (Bottacci 1998; Conedera et al. 2004). Esskastanien sind über einen Nabel (Hilum) mit der Cupula verbunden (Abbildung 10) (Conedera et al. 2004). Wenn die Kastanien reif werden, zerspringt die Cupula in vier Klappen und gibt die Früchte frei (Stinglwagner et al. 2005). Abbildung 11 zeigt die reifen Esskastanien.
Abbildung 11: Reife Esskastanien (Foto: G. Stettner)
Die Verwendung der verschiedenen Begriffe Kastanie und Marone hat nach Ecker et al. (2006) keine biologischen Gründe, sondern eher kaufmännische und qualitätsbezogene Ursachen. Das entscheidende Merkmal ist die Größe der Frucht. Man bezeichnet die Früchte als Maronen, wenn weniger als 90 Stück ein Kilogramm wiegen. Wichtig ist eine gute Schälbarkeit und ein süßer, aromatischer Geschmack. Für die Produktion von großen Maronen haben Edelkastanien einen höheren Anspruch an den Boden und das Klima (Ecker et al. 2006).
Rinde und Borke
Bei jungen Stämmen ist die Rinde glatt und silbergrau gefärbt. Im Laufe der Jahre beginnt die Rinde aufzureißen (Bottacci 1998). Nach Bartels (1993) beginnt im Alter von etwa 15 bis 20 Jahren die Ausbildung einer rotbraunen Netzborke. Gekennzeichnet ist die Borke durch breite erhabene Streifen und tiefe Furchen (Bottacci 1998; Stinglwagner et al. 2005). In Abbildung 12 ist die Borke eines älteren Edelkastanienbaumes zu erkennen.
Abbildung 12: Borke der Edelkastanie mit Streifen und Furchen (Foto: G. Stettner)
Die Streifen der Borke laufen meist spiralig um den Stamm. Die Borke der Edelkastanie ist dick und gerbstoffreich. Der Gehalt des Gerbstoffes Tannin liegt bei 4-12 % des Trockengewichtes (Bottacci 1998).
Wurzelsystem
Das Wurzelsystem der Edelkastanie ist sehr kräftig ausgeprägt. Die Baumart bildet eine Pfahlwurzel mit stark verzweigten Seitenwurzeln (Bottacci 1998). Der gekeimte Sämling verwendet im ersten Jahr seine Energie hauptsächlich dazu die Pfahlwurzel auszubilden, die 3- bis 4-mal so lang sein kann wie der noch kurze Spross. Ab dem 2. Jahr werden dann vermehrt Seitenwurzeln gebildet (Bouffier 2001). Die Seitenwurzeln erschließen den Boden und bewirken eine starke Verankerung (Bottacci 1998).