Vorkommen von Castanea sativa in Europa


Die Edelkastanie mit dem botanischen Namen Castanea sativa ist die einzige Art der Gattung Castanea, die natürlicherweise in Europa vorkommt (Ecker et al. 2006). In Abbildung 1 ist das natürliche und das künstliche Verbreitungsgebiet von Castanea sativa dargestellt.


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Abbildung 1: Natürliches (grau) und künstliches (schraffiert) Verbreitungsgebiet von Castanea sativa. Einzelvorkommen sind als Punkte dargestellt.
(Abbildung: A. Bottacci 1998)




Das natürliche Verbreitungsareal der Baumart ist der Mittelmeerraum (Abbildung 1) (Bottacci 1998). Es wird davon ausgegangen, dass in der Antike die Griechen und anschließend die Römer das Verbreitungsgebiet von Kleinasien ausgehend im Mittelmeerraum ausweiteten. Die Römer befassten sich mit der Vermehrung und Veredlung der Edelkastanie und verbreiteten die Baumart auch in weiter nördlichen Regionen Mitteleuropas (Ecker et al. 2006). Das heutige künstliche Verbreitungsgebiet von Castanea sativa ist in Abbildung 1 gekennzeichnet.
Die Edelkastanie kommt heute in milden Gebieten West- und Mitteleuropas vor, insbesondere in den Regionen des Weinbauklimas und in Föhntälern (Stinglwagner et al. 2005).
Die Hauptverbreitungsgebiete in Deutschland befinden sich am Westhang des Schwarz- und Odenwaldes, außerdem im Mosel-, Saar- und Nahetal sowie an der Donau (Stinglwagner et al. 2005). Größere Vorkommen gibt es in der Region Ortenau in Baden-Württemberg und am Ostrand des Pfälzerwaldes. Es gibt auch Einzelvorkommen von Edelkastanien wie z.B. in Norddeutschland (Abbildung 1) (Bouffier und Maurer 2009). Die Edelkastanie wird außerdem als Zierbaum in Garten- und Parkanlagen gepflanzt (Stinglwagner et al. 2005).



Ursprüngliche Herkunft


Von den Vorfahren der Edelkastanie wurden Fossilien gefunden, die aus der Zeit des Pliozäns stammen (Zeitalter am Ende des Tertiär, zwischen 5,3 Mio. und 2,6 Mio. Jahren vor unserer Zeit) (Ecker et al. 2006; Sadava et al. 2011). In dieser Zeit war die Edelkastanie wahrscheinlich eine häufige, bis nach Island vorkommende Blütenpflanze. Durch die Kaltzeiten wurde die Baumart in Rückzugsgebiete im Mittelmeerraum zurückgedrängt (Insam 1994). Nach der letzten Eiszeit (ca. 8000 v.Chr.) breitete sich die Edelkastanie nur langsam wieder aus (Ecker et al. 2006; Stinglwagner et al. 2005). Für die Zeit danach lassen sich nach Ecker et al. (2006) die Herkunftsgebiete nicht genau bestimmen. Es gibt die Theorie, dass sich die Edelkastanie schon vor der Zeit der Römer in Mitteleuropa wieder ansiedelte. So gibt es z.B. vorrömische Pollenfunde im Alpenraum (Insam 1994). Von möglichen Herkunftsgebieten berichten auch verschiedene antike Quellen. Die Region um Sardes im antiken Lydien (heute Türkei) wird z.B. als Heimatgebiet genannt (Ecker et al. 2006).



Der Name der Kastanie


Für den Namen der Kastanie gibt es verschiedene Ursprungstheorien. Nach dem römischen Historiker Plinius soll der Name der Edelkastanie auf den Ort Castanna in Thessalien (Mittelgriechenland) zurückzuführen sein (Ecker et al. 2006). Eine andere Vermutung ist, dass der Name Kastanie aus kleinasiatischen Sprachquellen stammt. Das armenische Wort "Kaskeni" bedeutet Esskastanie als Baum und "kask" dessen Frucht (Genaust 2012).

Der botanische Name der Edelkastanie Castanea sativa setzt sich aus dem Gattungsnamen Castanea und der Artbezeichnung sativa zusammen. Das lateinische Wort Castanea bedeutet "Kastanie, Esskastanie". Der Begriff sativa bedeutet "angebaute Kulturpflanze" in der lateinischen Sprache und ist von satus "gesät" abgeleitet. Dies deutet auf eine Art hin, die schon früh von Menschen kultiviert wurde (Genaust 2012). Im deutschsprachigen Raum wird die Edelkastanie auch Esskastanie, Essbare Kastanie, Maronenbaum oder Käs(ch)te genannt (Maurer 2003). In der englischen Sprache heißt die Edelkastanie "Sweet chestnut", auf Französisch "Chatâignier", in Italien nennt man sie "Castagno" und in Spanien "Castaño" (Bottacci 1998).



Kulturgeschichte der Edelkastanie


Die Edelkastanie wurde nördlich der Alpen wahrscheinlich vor ungefähr 2000 Jahren von den Römern gemeinsam mit dem Wein eingeführt (Bouffier 2001). Auf geeigneten Standorten legten die Römer in ihrem Einflussbereich Kastanienpflanzungen an (Horvat et al.1974). Aus dem Holz wurden wetterfeste Rebstecken und Pfähle hergestellt (Lang 2007). Nach dem Zerfall des römischen Reiches und in den Zeiten der Völkerwanderung verwilderten die Kastanienbestände. Erst Karl der Große veranlasste wieder die gezielte Pflanzung von Edelkastanien als Nutzpflanze (Ecker et al. 2006; Bouffier und Maurer 2009).

Im Mittelalter fand die Hauptausbreitung der Edelkastanie in Europa statt (Maurer 2003). Von der Baumart konnte Bau- und Brennholz sowie Futter für Schweine und Rinder gewonnen werden (Ecker et al. 2006). Das Laub setzten die Menschen als Streu für ihre Viehställe und als Dünger auf den Rebflächen ein (Bouffier und Maurer 2009).

Nach Maurer (2003) hatten die Früchte der Edelkastanie in vielen Regionen Europas die Funktion eines Grundnahrungsmittels. Die stärkereichen Esskastanien waren z.B. in Zeiten von Missernten für das Überleben der Menschen wichtig (Laudert 2003). Früher gab es die Regel "je ein Baum pro Mensch" (Goerigk 2010). Von einem Edelkastanienbaum konnten im Jahr 100-200 kg Esskastanien gewonnen werden. Ein Mensch brauchte zum Überleben ungefähr 150-200 kg Esskastanien (Goerigk 2010). Als die Kartoffel in Europa eingeführt wurde, nahm die Bedeutung der Edelkastanie als Nahrungsmittel ab (Ecker et al. 2006). Die Kastanienkulturen erlebten danach ihren Niedergang ab dem 18. Jahrhundert (Maurer 2003). In den südlichen Ländern Europas wird die Edelkastanie jedoch auch heute noch zur Fruchtproduktion oder als Forstpflanze genutzt (Ecker et al. 2006).