Die Grenzen des Zeigbaren und die Unsichtbarkeit des Gezeigten. Fotografien des Sonderkommandos Ausschwitz als Exponate in Holocaust-Ausstellungen

Wie aktuell die Aushandlung von Erinnerung an die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs noch heute ist, lässt sich unter anderem an den Debatten um das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig und den Erfahrungen dessen ehemaligen Museumsdirektors Paweł Machcewicz erkennen. Weitere Beispiele sind die Schwierigkeiten um die Verlängerung bzw. Nicht-Verlängerung des Vertrages des Museumsdirektors Dariusz Stola im Jüdischen Museum Warschau oder der Rücktritt von Peter Schäfer dem Museumsdirektor des Jüdischen Museums Berlin. Im Dissertationsprojekt „Die Grenzen des Zeigbaren und die Unsichtbarkeit des Gezeigten. Fotografien des Sonderkommandos Ausschwitz als Exponate in Holocaust-Ausstellungen“ werden daher Fragen nach den Mechanismen und Machtstrukturen, aber auch der Wissensproduktion in Ausstellungen zu den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gestellt.

Der Holocaust wird im Museum insbesondere mit dem Medium der Fotografie vermittelt. Seine Reproduzierbarkeit bietet dabei die Möglichkeit der Gleichzeitigkeit von Objekten in verschiedenen Ausstellungen. Daher wird in dieser Arbeit exemplarisch eine Fotoserie zunächst als mobiles Objekt in den Mikro-Netzwerken von Ausstellungen und den Makro-Netzwerken der Museumslandschaft fokussiert.

Die Fotografien wurden wahrscheinlich heimlich von Alberto Errera im Lager Auschwitz-Birkenau aufgenommen und zeigen Szenen von nackten Frauen sowie das Verbrennen von Leichen. Die zugehörigen Negative befinden sich im Archiv des Museums der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Die Fotografien werden in den Mahnmälern in Paris und Berlin wie auch im jüdischen Museum in Warschau ausgestellt. Dabei werden sie verändert, werden teilweise vergrößert, beschnitten oder aber voneinander getrennt. In ihrer Objektnachbarschaft kreieren sie jeweils unterschiedliche Narrative und erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Durch den Vergleich dieser Mikro-Netzwerke lassen sich Fragen nach der Konstruktion von Narrativen in einer Ausstellung aber auch die Veränderung eines mobilen Objekts durch den veränderten Ausstellungskontext aufzeigen. Möglicherweise kann das Netzwerk sogar Rückschlüsse auf die Funktionen und Wirkungsweisen von Ausstellungsstrategien wie Individualisierung und Personalisierung geben. Hier sollen insbesondere Ansätze aus der Geschichtsdidaktik fruchtbar gemacht werden.

Neben den Mikro-Netzwerken der Ausstellungen lassen sich die einzelnen Institutionen – das Mémorial de la Shoah in Paris, der Ort der Information des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin, das jüdische Museum POLIN in Warschau und die Ausstellung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau – zum Zeitpunkt ihrer Institutionenwerdung beziehungsweise die Aushandlungsprozesse, welche die Ausstellungskonzeption begleiten, in einem eigenen Makro-Netzwerk fassen. Dies kann, angelehnt an den Ansatz der Social Construction of Technolog yon Bijker und Pinch, die relevanten Anspruchsgruppen und Konflikte sichtbar machen. In Erweiterung des Ansatzes werden im Dissertationsprojekt außerdem die Allianzen und Konflikte der Institutionen untereinander, aber auch weiterer beteiligter Akteure sowie deren Bedürfnisse und Ansprüche sichtbar gemacht. Hierdurch sollen Prozesse und Knotenpunkte evident werden, die auf die Objektnetzwerke innerhalb der Ausstellungen und die damit erzeugten Narrative einwirken und diese verändern.

Ziel der Arbeit ist es einerseits, einen Beitrag zur Entwicklung von konkreten Werkzeugen für die Methode der Ausstellungsanalyse zu leisten. Andererseits soll durch die Beleuchtung der Wirkmächtigkeit von Akteur-Netzwerken im Ausstellungskontext und auch der institutionellen Makroebene von Museen der Blick auf Machtstrukturen und die Konstruktion von Narrativen im musealen Kontext erweitert werden.


Betreuung: Prof. Dr. Anke Hilbrenner, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte – Osteuropäische Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Museum: ŻIH - Żydowski Instytut Historyczny (JHI Jewish Historical Institute)