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Presseinformation: Europas Dörfer zwischen Biodiversität und Lebensqualität

Nr. 113 - 10.07.2025

Forschungsteam untersucht Zusammenhänge zwischen Umgebung, Artenvielfalt und Wohlbefinden

 

(pug) Obwohl viele europäische Dörfer sehr alt sind, ist ihre biologische Vielfalt im Vergleich zu der von Städten, Wäldern, Wiesen oder Ackerland bislang noch wenig erforscht. Jetzt hat ein internationales Team unter der Leitung des ungarischen HUN-REN Centre for Ecological Research und mit Beteiligung der Universität Göttingen untersucht, wie Landschaftsstrukturen, die Nähe zu Städten, Artenvielfalt und menschliches Wohlbefinden zusammenhängen. Die Studie zeigt, dass Dörfer mit bewaldetem Umland eine höhere Artenvielfalt aufweisen als landwirtschaftlich geprägte Gebiete. Zudem steigert die Nähe zu Städten das menschliche Wohlbefinden. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht.

 

Das Forschungsteam untersuchte 64 Dörfer in der Umgebung von 16 Städten in Ungarn und Rumänien. Die Hälfte lag stadtnah, die andere weiter entfernt in Agrar- oder Waldlandschaften. Erfasst wurden Pflanzen, Vögel und Arthropoden wie Ameisen, Käfer, Spinnen und Fliegen. Dabei kamen verschiedene Methoden zum Einsatz: Fallen für Arthropoden am Boden, Saugproben für Arten in der Vegetation und Fallennester für Bienen und Wespen, die in Höhlen nisten. Insgesamt dokumentierten die Forschenden 1.164 Arten aus neun Tier- und Pflanzengruppen. Dabei wiesen Dörfer, die von Ackerland umgeben sind, eine 15 Prozent geringere Vielfalt auf als Dörfer mit Wäldern im Umland. Dazu erklärt Erstautor Dr. Péter Batáry vom HUN-REN Centre for Ecological Research: „Dies unterstreicht die Bedeutung des landschaftsweiten Artenpools für die Biodiversität in Dörfern. Die Nähe zur Stadt hatte nur geringe Auswirkungen auf die Artenzahlen und die Gesamtartenvielfalt, was darauf hindeutet, dass andere Faktoren einen größeren Einfluss haben.“

 

Für ungarische Dörfer haben die Forschenden zusätzlich Daten zu Lebensbedingungen und Lebensqualität erhoben und in den „Better Life Index“ überführt, der das menschliche Wohlbefinden widerspiegelt. In Dörfern nahe städtischer Ballungsräume lag der Wert um 27 Prozent höher und in waldreichen Gegenden um 14 Prozent höher als in landwirtschaftlich geprägten Landschaften. Gründe könnten sein, dass die Nähe zu städtischen Gebieten den Menschen im Dorf einen besseren Zugang zu Dienstleistungen bietet, während eine bewaldete Umgebung für sauberere Luft und mehr Grünflächen sorgt.

 

Als weiteren zentralen Faktor bezogen die Forschenden den „Human Footprint Index“ in die Studie ein. Er wurde auf Basis von Geodaten berechnet und bewertet die Umweltauswirkungen durch Infrastruktur und Landnutzung. In Dörfern mit größerem menschlichem Wohlbefinden war dieser Wert besonders hoch – vor allem in Stadtnähe. Ein hoher Wert ging mit geringerer Artenvielfalt einher. Ein gehobener Lebensstandard kann demnach eine erhöhte Umweltbelastung nach sich ziehen. Nach Ansicht der Forschenden weist dies auf einen Zielkonflikt zwischen menschlichem Wohlbefinden und Biodiversität hin. In Dörfern mit waldreicher Umgebung blieb die Biodiversität trotz menschlicher Aktivitäten weitgehend erhalten. Das zeigt wiederum: komplexe Landschaften können den Verlust der biologischen Vielfalt abmildern.

 

„Unsere umfassende Studie über mehr als tausend Pflanzen-, Insekten- und Vogelarten dokumentiert die beeindruckend hohe Biodiversität, die in Dörfern zu finden ist – insbesondere, wenn sie von Wäldern umgeben sind“, sagt Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter des Lehrstuhls für Agrarökologie an der Universität Göttingen. „Weil Dörfer durch die zunehmende Verstädterung immer weniger isoliert sind, ist es gut zu wissen, dass das menschliche Wohlbefinden von der Nähe zur Stadt profitiert, ohne dass die Biodiversität darunter leidet.“

 

Originalveröffentlichung: Batáry P. et al. Biodiversity and human well-being trade-offs and synergies in villages. Nature Sustainability (2025). DOI: 10.1038/s41893-025-01592-y

 

Kontakt:

Prof. Dr. Teja Tscharntke

Georg-August-Universität Göttingen

Fakultät für Agrarwissenschaften

Abteilung Funktionelle Agrobiodiversität und Agrarökologie

Grisebachstraße 6, 37077 Göttingen

E-Mail: ttschar@gwdg.de

Internet: www.uni-goettingen.de/de/92552.html

 

Dr. Peter Batáry

HUN-REN Centre for Ecological Research, Ungarn

Institute of Ecology and Botany

Landscape and Conservation Ecology Group

E-Mail: batary.peter@ecolres.hu