150-Jahr-Feier der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Universität Göttingen
Das Ökosystem Wald und die Möglichkeiten seiner nachhaltigen Nutzung aus natur-, technik- und gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive steht im Mittelpunkt von Forschung und Lehre der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Universität Göttingen. Ihren Ursprung hat die Fakultät in der vor 150 Jahren gegründeten Königlich-Preußischen Forstakademie in Hannoversch Münden. Die Fakultät feierte das Jubiläum am 1. Juni 2018 mit einer Festveranstaltung in der alten Aula der Universität Göttingen. In die Veranstaltung war auch die Verabschiedung der Absolventinnen und Absolventen mit Masterabschluss inklusive der Auszeichnung der bestbenoteten Absolventin sowie die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Herrn Prof. Dr. Ernst-Detlef Schulze integriert. Musikalisch eindrucksvoll begleitet wurde die Veranstaltung vom Jagdhornbläserchor der Fakultät unter Leitung von Herrn Andreas Buck-Gramcko.
Der Dekan Prof. Bernhard Möhring konnte über 350 Anwesende begrüßen, von denen viele seit der eigenen Studienzeit mit der Forstfakultät verbunden sind. Immerhin die Hälfte der 150-jährigen Geschichte überblickten zwei Zeitzeuginnen. 1943 – also vor genau 75 Jahren - hatten Frau Professorin Giesela Jahn und Frau Dr. Marianne Möhring (die Mutter des Dekans) in Hann. Münden ihr Forstdiplom abgelegt. Zum „Kronjuwelen-Examen“ gab es anhaltenden Applaus. Die Aula der Universität, – ein Geschenk von König Wilhelm IV. von Großbritannien und Hannover zum hundertjährigen Bestehen der Universität Göttingen im Jahr 1837 – so betonte Prof. Möhring, stehe für die zeitlose Bedeutung der Forstwirtschaft. Damals wurde reichlich Holz aus den umliegenden Forsten bereitgestellt, welches in der Konstruktion, dem Fußboden und den Säulen verbaut ist. Dieses prächtige Gebäude binde - rechnet man das Wachsen der Bäume mit ein – seit nunmehr deutlich mehr als 200 Jahren Kohlendioxid. Die Möglichkeit von Holz, der Atmosphäre CO2 zu entnehmen, eröffne in der aktuellen umwelt- und klimapolitischen Diskussion dem Sektor Forst und Holz neue Perspektiven. Mit den Worten des Göttinger Universalgenies Georg Christoph Lichtenbergs (1742-1799) „In Göttingen lernen die Studenten nicht, was sie zu denken haben, sondern wie sie zu denken haben“ beglückwünschte Prof. Möhring die Absolventinnen und Absolventen dazu, dass sie an der Universität die Freiheit des Denkens und die wissenschaftlich-analytische, auf Fakten basierende Sicht auf den Wald kennengelernt haben. Dies sei heute notwendiger denn je.
Dass die Universität Göttingen sogar 250 Jahre zurückreichende forstliche Wurzeln hat, betonte die Präsidentin der Universität Frau Professorin Dr. Ulrike Beisiegel in ihrem Grußwort. Die zentrale Figur war der „Kameralist“ Johann Gottlieb Beckmann, dessen Büste in der Aula steht. Er hielt bereits 1768 in Göttingen eine Vorlesung mit dem Titel „Bau der Wälder“. Das von ihm verfasste Lehrbuch „Beyträge zur Verbesserung der Forstwissenschaft“ sei das erste, welches explizit den Begriff "Forstwissenschaft" im Titel trägt. Die Studienrichtung „res saltuaria“ (frei übersetzt „Waldkunde“) sei aber nur ein „kleines Fach“ im Rahmen der Rechts-, Staats- und Kameralwissenschaften gewesen. Heute nehme die Forstfakultät in der Universität eine wichtige Stellung ein. Sie stehe für die zentralen universitären Entwicklungsziele Nachhaltigkeit und Internationalität und sei innerhalb und außerhalb der Universität an vielen Verbünden beteiligt. Besondere Bedeutung habe aktuell das im Rahmen der Exzellenzinitiative beantragte Cluster „Integrative land use science for sustainable development“, in das die Forstwissenschaften neben Agrar, Biologie, Geografie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an zentraler Stelle eingebunden seien – sie hoffe und setze sehr auf den Erfolg bei der Begutachtung des Clusters in diesem Sommer.
Im Rahmen seines Festvortrages beleuchtete der Forst-Historiker Dr. Peter-Michael Steinsiek die bewegte Geschichte der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie und ihrer Vorläuferorganisation anhand prägender Persönlichkeiten und zahlreicher Anekdoten, die einen interessanten Einblick in den jeweiligen Zeitgeist gaben. So erwähnte er bspw. den 1868 berufenen Chemiker Alexander Mitscherlich, den Erfinder des Sulfitverfahrens, das eine günstige Produktion von Zellstoff aus Holz ermöglichte; die Stellung eines erfolgreichen Fabrikanten vertrug sich aus damaliger Sicht aber nicht mit der eines Professors, so dass Prof. Mitscherlich 1883 entnervt die Fabrik und Professur in Hann. Münden aufgab. Dr. Steinsiek ging in diesem Zusammenhang auch auf das Schicksal des jüdischen Mykologen Prof. Richard Falck ein, der insbesondere wegen des antisemitisch motivierten Druckes der Studentenschaft gemeinsam mit seiner Frau Olga 1933 Deutschland verlassen musste und nach Amerika ging. Auch sein jüdischer Mitarbeiter Otto Erich Reis musste gehen, er überlebte die Herrschaft der Nationalsozialisten jedoch nicht, sondern starb vermutlich auf dem Transport in das Konzentrationslager Majdanek. Die 1868 gegründete Königlich-Preußische Forstakademie in Hannoversch Münden wurde 1923 zur Forstlichen Hochschule mit Rektoratsverfassung, Promotion-, Habilitations- und Berufungsrecht. 1939 erfolgte in politisch schwieriger Zeit und nicht ohne erhebliche Auseinandersetzungen im Lehrkörper die Eingliederung als Fakultät in die Universität Göttingen.1970 bezog die Fakultät dann die neu errichteten Gebäude am Nordcampus in Göttingen. Im Fokus der heutigen Forschung steht das Ökosystem Wald mit allen Aspekten einer nachhaltigen Nutzung von Wäldern bis hin zu Untersuchungen, wie Holz und Nichtholzprodukte bearbeitet und verwertet werden können.
Nach dem Rückblick in die Vergangenheit stellte der Leiter der Abteilung Waldbau und Waldökologie, Prof. Dr. Christian Ammer, Perspektiven für die Forstwissenschaften im 21. Jahrhundert dar, die sich aus den globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Entwaldung sowie den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen am Wald ergeben. Diesen Herausforderungen könne in der Forschung durch eine Erweiterung der räumlichen und zeitlichen Skalen auf denen geforscht werde und – wo immer möglich – einer Hinwendung zu erklärenden mechanistischen Ansätzen am besten entsprochen werden. In der Lehre sei angesichts der raschen Veränderung der Anforderungen im Beruf und des immensen Wissenszuwachses die Vermittlung der Fähigkeit zu kritischer Reflexion von besonderer Bedeutung, die allerdings auf einem soliden Fachwissen aufbauen müsse.
Abgerundet wurden die Festvorträge durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. Ernst-Detlef Schulze. Der Alumnus der Universität Göttingen ist einer der weltweit bedeutendsten Waldökosystemforscher und war einer der Gründungsdirektoren des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena. Mit seiner Forschung lieferte er wegweisende Erkenntnisse zum Gaswechsel von Pflanzen, in der Waldschadensforschung, zum Einfluss von Biodiversität auf Ökosystemfunktionen und den globalen Stoffkreisläufen, insbesondere dem Kohlenstoff-Kreislauf. Die Laudatio auf Herrn Prof. Schulze hielt Prof. Dr. Alexander Knohl von der Abteilung Bioklimatologie. Neben der Anerkennung seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistung im Bereich Waldökosystemforschung, dankte Prof. Knohl dem Ehrendoktor auch für seine langanhaltende Unterstützung für die Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie in forschungsstrategischen Fragen.
Am Tag darauf wurden im Rahmen einer Exkursion unter der sachkundigen Leitung von Dr. Thomas Schmidt-Langenhorst der alte Forstbotanische Garten in Hann. Münden und Waldflächen im ehemaligen Lehrrevier Bramwald (heute Nds. Forstamt Hann. Münden) und Dr. Markus Ziegeler im ehemaligen Lehrrevier Gahrenberg (heute Hess. Forstamt Reinhardshagen) besucht und über Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Forschung, Lehre und Forstpraxis diskutiert.